Spuk aus der Tiefe
Halloween Special
„Bei mir spukt es seit drei Nächten und meine Eltern glauben mir kein Wort“, sagt Emil zu Tom. „Sobald ich im Bett liege, ertönt ein Kratzen unter dem Teppich. Und gestern, nach Mitternacht“, Emil schluckt: „hat etwas ganz schlimm gekreischt. Tief aus dem Boden unter mir kam das Geräusch.“ Emil stockt: „Verstehst du, Tom? Tief aus dem Boden unter mir!“, wiederholt er mit Nachdruck.
Tom spürt, wie sich über seinem ganzen Körper eine Gänsehaut ausbreitet.
„Willst du heute nicht bei mir übernachten?“, fragt Emil. „Wenn auch du den Geist hörst, dann glauben mir meine Eltern hoffentlich endlich.“
Eigentlich übernachtet Tom sehr gerne bei Emil. Aber auch wenn Geister schaurig-spannend sind, auf eine Begegnung mit ihnen hat er keine Lust. Doch bevor er den Kopf schütteln kann, sieht er in Emils verzweifelte Augen. Auch wenn sein bester Freund es sich nicht anmerken lässt, sieht Tom doch, wie verzweifelt er ist. „So ein Mist! Warum ausgerechnet ich?“, denkt Tom. Sein bester Freund scheint ihn wirklich zu brauchen. Und nur er kann ihm im Kampf gegen den Geist helfen.
Bereits kurze Zeit später bereiten sich die beiden Jungs auf den Kampf gegen das kreischende Gespenst vor. Während Emil eine große Kiste über den Boden seines Kinderzimmers schiebt, kreisen Toms Gedanken. „Ok, jetzt wird’s ernst“, denkt er und wieder breitet sich seine Gänsehaut aus.
Da holt ihn Emils Stimme wieder zurück: „HalloOo! Erde an Tom. Hörst du mir zu?“ Tom schüttelt sich. „Ja klar! Was?“, fragt er.
Emil schaut ihn verwundert an. „Ich sagte, dass das hier meine gesammelten Halloweensachen sind. Da finden wir bestimmt etwas brauchbares. Guck mal hier!“, sagt er und hält einen Umhang hoch.
„Was sollen wir denn damit?“, fragt Tom.
„Na, uns verstecken!“, antwortet Emil.
„Ähm“, Tom sieht nicht sehr überzeugt aus, „Ich denke nicht, dass das klappt“
„Woher willst du das wissen?“, fragt Emil, „Besser als Nichts, oder?“
Toms Gedanken kreisen wieder. „Na toll! Ein Umhang zum Verstecken gegen ein schreckliches Gespenst. Das war’s dann du schöne Welt!? Na was soll’s. Wenn dann richtig!“
Als die Beiden erst mal angefangen haben, sind sie nicht mehr zu bremsen. Nicht nur der Halloweenkarton – nein, die gesamte Wohnung wird auf den Kopf gestellt, bei der Suche nach nützlichen Waffen gegen das Grauen aus der Tiefe.
Einige Stunden später liegt Tom auf der Gästematratze neben Emils Bett. Um den Hals trägt er eine Knoblauchkette. Emil meinte zwar, die würde nur bei Vampiren helfen, aber beim Umhang waren sie sich ja auch nicht sicher. Und den tragen übrigens jetzt beide. Auf Emils Kopfkissen liegt ein Handventilator. Es könnte ja immerhin sein, dass man einen Geist auch wegblasen kann; man weiß es nicht! Was man aber weiß, ist, dass Geister Strom abschalten können – oder so ähnlich.
Emil hatte sich mal nachts aus dem Bett geschlichen und im Fernsehen lief ein Geisterfilm. Jedes Mal, wenn der Geist dort auftauchte, flackerten alle Lampen. Das konnte er sich gut merken. Denn es war immer ein sicheres Anzeichen dafür, dass er sich gleich die Hände vor’s Gesicht halten muss.
Und genau deswegen ist der Ventilator auf Emils Kopfkissen auch Batteriebetrieben und die Taschenlampe unter Toms Bettdecke mit Handkurbel. So liegen die beiden Geisterexperten in voller Bekleidung im Bett. Um sich herum viele nützliche Dinge. Auf dem Kopf Alufolie und auf den Augen Sonnenbrillen.
Warum nachts Sonnenbrillen? Ganz einfach! Je weniger man sieht, desto weniger kann man sich erschrecken. Ist doch logisch, oder?
Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht. Die selbsternannten Geisterjäger haben das Licht gelöscht. Durch die Gardinen fällt Mondlicht. Alles ist ruhig. Die zwei Freunde warten. Dann ist es soweit!
Der Glockenschlag des Kirchenturms ertönt. Sie zählen mit: „1… 2… 3… 4… 5… 6… 7… 8… 9… 10… 11… 12…“.
Stille!
Da, plötzlich ein Geräusch, als ob spitze Nägel über Bretter kratzen. Es scheint tief aus dem Boden unter ihnen zu kommen. Gleich darauf ertönen ein lautes Poltern und ein heiserer Schrei. Tom fährt zusammen. Im selben Moment knipst Emil das Licht an. In seinem Gesicht steht die pure Angst.
Als es wieder poltert, springt Tom aus dem Bett. „Ok, das reicht! Bereit zum kämpfen?“, ruft er entschlossen. Emil springt auch aus dem Bett und während er eifrig mit dem Kopf nickt ruft er: „Nein, niemals!“
Tom ist irritiert: „Was?“.
„Ich finde wir sollten besser meine Eltern holen“, antwortet Emil kleinlaut.
Erleichtert atmet Tom aus: „Das ist doch mal ein richtig guter Plan!“, antwortet er.
Zusammen laufen sie ins Wohnzimmer. „Fängst du jetzt auch noch an Geister zu hören“ Mit diesen Worten wird Tom von Emils Vater in Empfang genommen. Und auch die Mutter wirkt genervt. Nichts desto trotz gehen die Eltern mit ins Kinderzimmer. Dort ist es, Tom kann es nicht glauben, wieder ruhig.
„Der Geist will mich ärgern“, murmelt Emil mit zittriger Stimme.
„Da ist kein Geist“, sagt seine Mutter.
„Doch, da ist einer. Ich habe es auch gehört“, steht Tom seinem Freund bei und zeigt auf eine Stelle zwischen dem Gästebett und Toms Bett. „Von hier kam das Geräusch. Vielleicht ist unter dem Boden ein alter Friedhof und ein Geist will raus?“
„Unter dem Boden ist kein Friedhof, sondern ein Kellerraum“, sagt Emils Vater.
„Vielleicht sitzt der Geist ja dort?“, beharrt Tom.
„Sicher nicht“, sagt Emils Mutter.
„Dann gehen wir jetzt dort runter“, sagt Emil.
Für einen Moment ist es mucksmäuschenstill. Tom und seine Eltern schauen Emil gleichermaßen verblüfft an. Doch Emil zuckt nur mit den Schultern: „Bevor ich mich alleine weiter Nacht für Nacht grusele, gehen wir lieber zusammen nachschauen. Also, was ist? Gehen wir jetzt?“
Tom spürt, wie sich wieder eine Gänsehaut bei ihm ausbreitet. Trotzdem stapft er gleich darauf zwischen Emil und dessen Mutter die Kellertreppe hinab. Das Licht ist nur schummerig. Die Luft riecht modrig und die Betonstufen fühlen sich kühl unter seinen nackten Füßen an. Wieder huschen Tom Gedanken durch den Kopf: „Was zur Hölle mache ich hier? Warum tue ich das?“
Emils Vater unterbricht Toms Gedanken. „Seht ihr? Da ist nichts und …“, beginnt Emils Vater, als hinter der großen Holztür ein lauter Schrei erklingt. Alle vier zucken zusammen.
„Okay, ich lag falsch, da ist etwas“, sagt der Vater panisch.
„Hab ich doch gesagt!“, ruft Emil.
„Jetzt sei erst mal still!“, flüstert Emils Mutter und hält ihren Finger auf die Lippen.
Emils Vater weiß nicht so recht, was er jetzt machen soll. An Geister glaubt er eigentlich nicht, doch in diesem Moment ist er sich nicht mehr so sicher. Und auch wenn es kein Geist sein sollte, was ist es dann?
Obwohl es hinter der Tür nun erneut poltert fühlt Tom sich komischerweise nicht mehr so ängstlich. Und auch Emil hat wieder etwas mehr Farbe im Gesicht. Sie sind nicht mehr alleine im Kampf gegen den Geist. Das gibt Tom den Mut zur Holztür zu gehen, nach dem Griff zu greifen und sie entschlossen zu öffnen – obwohl er sich immer noch wünscht, gerade nicht hier zu sein.
„Nein, mach das nicht!“, ruft Emils Vater. Doch, da ist es schon zu spät … die Holztür knarrt! Ein weiterer Schrei ertönt. Etwas Haariges kommt aus dem Dunkeln geschossen. Tom fällt vor Schreck nach hinten. Emil und seine Eltern wollen schreien, aber ihnen stockt der Atem. Und schon im nächsten Moment schießt Fluffy, die Nachbarskatze, an Tom vorbei. Der kleine Geisterjäger sitzt nun mit offenem Mund auf dem kalten Boden und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Und auch Emil und seine Eltern stehen absolut still.
Dann atmen alle erleichtert auf. Emils Vater nimmt das Kätzchen auf den Arm. „Da haben wir ja unser kreischendes Gespenst aus dem unterirdischen“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Sie muss durch das kleine Fenster geklettert und nicht mehr herausgekommen sein.“ Dann schaut er zu Emil rüber und entschuldigt sich: „Wir hätten euch zuhören sollen. Wenn du und Tom nicht so hartnäckig gewesen wärt, dann wäre es für das Tier nicht so gut ausgegangen. Ihr habt zwar heute keinen Geist bekämpft, aber Helden seid ihr trotzdem!“
Bei diesen Worten lässt sich Tom nach hinten gleiten. Er liegt erschöpft auf dem Boden und fängt an zu lachen. Auch Emil lässt sich erschöpft auf die Kellertreppe sacken und lacht befreit mit. Was für eine abenteuerliche Spuk-Nacht!
Autor: Jens Pätz