Rotkäppchen (in zeitgemäßer Sprache)

Original von 1850

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Rotkäppchen und der böse Wolf im Wald - Grimm Märchen von 1850

Es war einmal ein kleines süßes Mädchen, das hatte jedermann lieb, der sie nur ansah. Am allermeisten aber hatte ihre Großmutter sie lieb. Sie schenkte ihr gerne die schönsten Dinge. Einmal schenkte sie ihr ein rotes Käppchen. Und weil dem Mädchen das Käppchen so gut gefiel, wollte es nichts anderes mehr tragen. Deshalb nannte man es nur noch das Rotkäppchen.

Eines Tages sprach Rotkäppchens Mutter zu ihr: „Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein. Bring das der Großmutter. Sie ist krank und schwach und wird sich daran stärken. Mach dich auf, bevor es heiß wird. Und geh brav auf dem Weg entlang, sonst fällst du und zerbrichst das Glas. Dann hat die Großmutter nichts, um sich zu stärken. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiss nicht, guten Morgen zu sagen. Und guck nicht erst in alle Ecken herum.“

„Ich will schon alles gut machen.“ sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf entfernt. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihr der Wolf. Rotkäppchen wusste nicht, was das für ein böses Tier war und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rotkäppchen.“ sprach der Wolf. „Schönen Dank, Wolf.“ Antwortete Rotkäppchen. „Wohin so früh, Rotkäppchen?“ fragte der Wolf. „Zur Großmutter.“ Antwortete Rotkäppchen. „Was trägst du unter der Schürze?“ fragte der Wolf. „Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken. Da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas Gutes tun und sich damit stärken.“ Erzählte das Rotkäppchen.

„Rotkäppchen, wo wohnt denn deine Großmutter?“ fragte der Wolf.  „Noch eine gute Viertelstunde weiter durch den Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus. Unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen.“ antwortete Rotkäppchen.

Der Wolf dachte bei sich: „Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen. Der wird noch besser schmecken als die Alte: du musst es listig anfangen, damit du beide schnappst.“ Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: „Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die rings umher stehen. Warum guckst du dich nicht um? Ich glaube du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja vor dich hin, als wenn du zur Schule gehen würdest. Dabei ist es so schön im Wald.“

Rotkäppchen schaute sich um. Und als es sah wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte sie: „Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen. Es ist so früh am Tag, dass ich doch noch bei Zeiten ankomme.“ So lief sie vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn sie eine gepflückt hatte, meinte sie, weiter hinaus stünde eine Schönere. So geriet sie immer tiefer in den Wald hinein.

Der Wolf aber ging geradewegs zum Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. „Wer ist dort draußen?“ fragte die alte Frau. „Rotkäppchen! Ich bringe Kuchen und Wein, mach auf.“ Rief der Wolf. „Drück nur auf die Klinke.“ rief die Großmutter zurück. „Ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ Der Wolf drückte auf die Klinke. Die Türe sprang auf und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, geradewegs zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann zog er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, zog die Vorhänge zu und legte sich in ihr Bett.

Rotkäppchen hatte in der Zwischenzeit die Blumen gesammelt. Als sie so viele zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihr die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, dass die Türe offen stand. Und wie es in die Stube trat, so kam es ihr sehr seltsam darin vor. Sie dachte: „Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir es heute zu Mute. Dabei bin ich sonst so gerne bei der Großmutter!“

„Guten Morgen!“ rief sie, bekam aber keine Antwort. Daraufhin ging sie zum Bett und zog die Vorhänge auf. Da lag die Großmutter. Sie hatte die Haube tief ins Gesicht gezogen und sah sehr wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren?“ fragte das Rotkäppchen. „Damit ich dich besser hören kann.“ Antwortete der Wolf. „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen?“ fragte das Rotkäppchen. „Damit ich dich besser sehen kann.“ Antwortete der Wolf. „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände?“ fragte das Rotkäppchen. „Damit ich dich besser packen kann.“ Antwortete der Wolf. „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?“ fragte das Rotkäppchen. „Damit ich dich besser fressen kann.“ Antwortete der Wolf. Und kaum hatte er das gesagt, sprang er aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.

Wie der Wolf seine Gelüste gestillt hatte, legte er sich wieder hin, schlief ein und fing an zu schnarchen. Der Jäger kam an dem Haus vorbei und dachte: „Wie die alte Frau schnarcht! Da muss ich doch sehen, ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube ein. Und wie er an das Bett kam, sah er, dass der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder!“ rief er. „Ich habe dich lange gesucht!“ Nun wollte er sein Gewehr anlegen, da dachte er, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben. Vielleicht ist sie noch zu retten? Also schoss er nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden.

Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten. Und nach ein paar Schnitten mehr, sprang das Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken! Es war so dunkel in des Wolfes Bauch!“ Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen.

Rotkäppchen holte geschwind große Steine. Damit füllten sie den Bauch des Wolfes. Und als er aufwachte, wollte er fortspringen. Aber die Steine waren so schwer, dass er hinfiel und starb.

Da waren alle drei vergnügt. Der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim. Die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein und erholte sich wieder. Rotkäppchen aber dachte: „Ich will mein Lebtag nicht wieder vom Weg in den Wald laufen, wenn es mir die Mutter verboten hat.“

Originales Märchen der Gebrüder Grimm. Lediglich der Sprachgebrauch wurde an die zeitgemäße deutsche Sprache angepasst.

Autor des Originals: Die Gebrüder Grimm
Quelle: Kinder- und Hausmärchen
(v.1850 & v.1912)
Autor der Änderungen: Jens Pätz

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