Kein Ostern für Tom?
Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Schulfenster. Tom guckt auf die Uhr und zählt schon die Sekunden. Es ist Freitag und die Klingel zum Ende des Unterrichts läutet gleich. Dann ist endlich Wochenende. Tom strahlt über das ganze Gesicht – da ertönt die Schulklingel: „Oster-Wochenende!“ ruft Tom laut. Seine Lehrerin guckt ihn mit großen Augen an. „Entschuldigung Frau Saldenmeier. Ich wollte gar nicht so laut rufen!“ sagt Tom. Die Lehrerin schmunzelt: „Schnappt eure Sachen und dann raus mit euch!“ sagt sie und schon flitzt Tom los.
Tom freut sich auf das Wochenende. Und das nicht nur weil dieses Wochenende Ostern ist. Tom freut sich auf alle Wochenenden. Er verabredet sich gerne mit seinen Freunden zum Spielen und manchmal schleicht er sich morgens heimlich ins Wohnzimmer und macht den Fernseher an. Das Einzige was ihn nervt, ist seine kleine Schwester. Tom hat seine kleine Schwester lieb, gar keine Frage, aber Lisa kann auch sehr anstrengend sein mit ihren gerade mal 5 Jahren. Sie will ständig irgendwas spielen, worauf Tom null Bock hat. Tom sagt dann öfter: „Boah Lisa-Po-Pisa, du bist so ein Kleinkind. Lass uns doch mal was Cooles machen!“ Immerhin ist Tom schon fast erwachsen, während seine Schwester noch ein Baby ist – das meint Tom zumindest.
Richtig blöd findet Tom aber, wenn seine Mama mal wieder sagt: „Tom, gehst du raus zum Spielen? Wenn ja, dann nimm bitte deine kleine Schwester mit!“ Da kriegt Tom immer direkt die Krise: „Oh Mama, das ist voll uncool - muss das sein?“ Und sofort kommt die Antwort: „Ja Tom, dass muss sein! Diskutier nicht immer mit mir!“ Dann schnappt sich Tom seine kleine Schwester und fängt an zu meckern: „Och Lisa-Po-Pisa, du bist ja noch nicht mal angezogen. Jetzt mach hin. Hier deine Schuhe, deine Jacke…“ und so reicht Tom seiner kleinen Schwester die Anziehsachen bis sie fertig angezogen ist. „So und jetzt komm, Marcel wartet bestimmt schon auf mich.“
Marcel ist Tom’s bester Freund und wohnt direkt nebenan. Unterwegs sprudeln mal wieder die Worte aus Lisa heraus: „Weißt du, weißt du, dass... weißt du, dass nachher Ostern ist?“ Lisa schaut Tom an: „Hast du, hast du gehört?“ Tom bleibt stehen: „Ja, hab ich gehört. Nicht nachher. Morgen ist Ostern und natürlich weiß ich das. Da gibt’s wieder Geschenke. Ich hoffe, Mama und Papa kaufen diesmal das Richtige. Und jetzt komm!“ Tom zerrt an Lisa’s Arm aber Lisa lehnt sich nach hinten: „Halt, halt, warte Tom. Du meinst, du meinst der Osterhase bringt das?“ Tom ist genervt: „Osterhase? Glaubst du auch noch an den Weihnachtsmann? Die beiden spielen immer Pokèmon am Nordpol, oder was?“ lacht Tom.
Lisa merkt, dass Tom sie veralbert: „Du hast, du hast ja, du hast ja gar keine Ahnung! Der Osterhase wohnt nämlich, wohnt nämlich, wohnt nämlich im Frühling!“ Tom muss laut loslachen und ahmt seine kleine Schwester nach: „Der Osterhase wohnt nämlich, wohnt nämlich, wohnt nämlich im Frühling. Oh, man, der Frühling ist eine Jahreszeit. Darin kann man gar nicht wohnen!“ Lisa reißt sich aus Tom’s Griff los und verschränkt die Arme. „Na und ob!“ sagt sie trotzig „Und wenn du, wenn du weiter so ein Eierloch bist, dann… dann bringt er dir gar nichts. So!“
Am nächsten Tag ist die ganze Familie für eine schöne Osterzeit zusammengekommen. Onkel, Tanten, Oma und Opa – alle sind da. Bald ist es so weit, denkt Tom. Er schielt schon auf die Uhr, während er immer wieder in die Wange gekniffen wird und Sätze hört wie: „Na mein Großer, bist ja ganz schön groß geworden.“ Oder „Huch, da ist aber einer gewachsen. Junge, junge, wenn wir nicht aufpassen, gehst du noch durch die Decke!“ Nur die Oma spricht ihn nicht auf seine Größe an - sie sagt immer: „Na mein Spatz, sag' kriegst du auch genug zu essen? Du hast ja schon wieder abgenommen oder? Na warte mal, die Oma hat dir eine Tafel Schokolade mitgebracht. Aber pssst, sag’s nicht der Mama.“ und dann zwinkert sie, als ob sie damit das Geheimnis besiegeln würde.
Tom reibt sich die Hände, seine Gedanken kreisen: „Gleich geht’s los; gleich geht’s los. Eine Tafel Schokolade hab ich schon.“ Da kommt die Mama aus der Küche: „Hier kommt der Kuchen!“ sagt sie freudig. Tom zieht an ihrem Ärmel: „Wann suchen wir denn jetzt?“ Seine Mama guckt ihn verdutzt an: „Ostern fällt doch für dich dieses Jahr aus mein Schatz! Es gibt keine Geschenke zum Suchen!“ Tom wird kreidebleich: „Was? Aber wieso?“ Tom’s Oma ist genauso verwundert wie er: „Wie bitte? Wir suchen keine Geschenke?“ „Doch, Lisa schon!“ sagt Tom’s Mama „Aber für Tom ist nichts da. Tom hat gestern schlecht über den Osterhasen geredet. Es würde ihn nicht geben und der Weihnachtsmann wäre auch nicht echt.“
Die Oma schlägt die Hände vor ihrem Gesicht zusammen: „Hui je mi ne. Tom, warum hast du das gemacht? Der arme Osterhase ist jetzt bestimmt ganz traurig. Und was wird jetzt an Weihnachten? Das fällt ja dann auch aus.“ Tom steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben: „Aber, aber, alle sagen es gibt keinen Osterhasen.“ Die Mama schaut Tom an: „Tom… und wenn alle sagen spring von der Brücke, springst du dann auch?“ Tom protestiert: „Ach Mama, natürlich nicht!“ Dann schaut er Lisa an: „Ach, ich bin wirklich ein Eierloch Lisa. Wenn ich mich doch nur entschuldigen könnte.“
Da horcht Tom’s Oma plötzlich erschrocken auf: „Habt ihr das gehört? Ich glaube, vor dem Haus hat es gerade im Gebüsch geraschelt. Anscheinend hat dir der Osterhase jetzt doch noch was gebracht.“ Tom reicht seiner kleinen Schwester die Anziehsachen: „Hier Lisa, schnell, deine Schuhe, deine Jacke… los jetzt!“ Lisa hüpft auf einem Bein - mit einem Schuh am Fuß - und halb angezogener Jacke hinter Tom her: „Warte Tom!“ ruft Lisa halb im Fallen. Tom dreht sich um: „Was ist? Ach herrje…“ Er sieht seine Schwester halb im Sturzflug segeln und fängt sie gerade noch auf: „Hab dich! So, jetzt… links, rechts, Schleife oben, fertig – und los!“ und dann zischen die Beiden wie geölte Blitze aus der Haustür.
„Da! GEFUNDEN!“ hört man über den Balkon bis ins Wohnzimmer. „Da hinten hoppelt er!“ ruft Tom. „Ich sehe ihn weghoppeln. ES TUT MIR LEID OSTERHASE!“ Im Wohnzimmer ist die Stimmung bombig. Alle freuen sich, als sie Tom’s Rufe hören und die Oma ruft zurück: „Grüß ihn mal von mir! Ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen. Aber wenn er sich zeigt, heißt es, er hat dir verziehen.“ Und von draußen tönt es wieder: „Ja, ich weiß Oma. Hier ist ein Körbchen versteckt. Los Lisa such weiter!“
Da hat Tom wirklich nochmal Glück gehabt. Er und Lisa finden noch einige Osterkörbchen, bevor sie wieder reinkommen und mit strahlenden Augen erzählen, dass sie den Osterhasen gesehen haben. Die Geschichte wird jedes Mal besser, je öfter Tom sie erzählt. Die Erwachsenen sind begeistert. Und so verbringen alle noch ein glückliches Osterfest - bis Tom und Lisa abends selig einschlafen.
Autor: Jens Pätz